Marseille – Enduro Paradies am Mittelmeer
Wenn man in Deutschland über die Winterzeit das Mountainbike aus dem Keller holen möchte, gehört man entweder zur Gruppe der waschechten Allwetterfahrer oder zur Gruppe all jener, die ihre Trail Sucht mit der Flucht in südlichere Gefilde befriedigt. Da uns aber eine Flugreise auf die Kanarischen Inseln, Andalusien oder Portugal nicht ganz in die Jahresbudgetierung passte, kam die Chance Arbeit mit Vergnügen zu kombinieren, in Frankreichs zweitgrößter Metropole Marseille, sehr gelegen.
Die Anreise
Von Innsbruck aus sind die rund neun Stunden Autofahrt nicht gerade das, was man einen Katzensprung nennt, aber glücklicherweise liegen nennenswerte Bikedestinationen wie Varazze, Finale Ligure und San Remo auf der Strecke und verkürzen somit die Anreise in die Provence doch deutlich.
Nach einem Tag des Einfahrens, die Wintersaison ist in Österreich dieses Jahr meist von Schneesport geprägt, stellen wir fest, bei 18 Grad, Sonne und warmen Südwind lässt es sich bereits im Januar in den ligurischen Bergen fantastisch aushalten, nur leider lässt die Sicherheit auf dem Rad noch zu wünschen übrig.
Marseille
Da wir im Vorfeld unserer Reise bereits ersten Kontakt mit der Marseillesischen EWS Fahrerin Morgane Such hatten, konnten wir uns so erste Tipps fürs Biken in der Region sichern. Morgane hatte leider keine Zeit uns unter der Woche zu guiden, vertröstete uns aber auf das Wochenende und setzte uns stattdessen mit ihrem Vater in Verbindung, der ein kleines Radgeschäft (Massilia Bike System) in dem Marseillaiser Vorort Saint-Marcel hat.
Der Hausberg
Am Geschäft angekommen wurden wir herzlich begrüßt und Morgane’s Vater zeigte uns diverse Trails in den südlich angrenzenden Bergen. Die erste Empfehlung: eine Tour mit rund 700 Höhenmeter und 25km für den Nachmittag. Für die Orientierung waren unsere Smartphones zuständig und die Website vttrack.fr, wo so gut wie alle Wanderwege Südfrankreichs zu finden sind.
Nach einem gemütlichen Anstieg auf einem der unzähligen Feuerwehrwege (die extreme Trockenheit im Sommer führt nicht selten zu Waldbränden), erwartet uns ein atemberaubender Ausblick auf die Metropole Marseille, die umliegenden, schroffen Berge und das angrenzende Mittelmeer. Selbst das Wahrzeichen der Stadt, die Notre-Dame de la Garde Kirche, konnten wir vom Trail Einstieg in der Ferne vernehmen.
Aber genug die Aussicht genossen, jetzt standen Trails auf dem Programm. Morgane’s Vater hatte scheinbar eine gewisse Fahrtechnik vorausgesetzt, denn bereits der Einstieg in den Trail stellte aufgrund von verblockten, spitzen Felsen schon eine gewisse Herausforderung dar.
Doch nachdem die erste Schlüsselstelle gemeistert war, wurden wir mit einem schnellen, flowigen, aber ziemlich ruppigen Trail durch eine wilde Fels- und Buschlandschaft belohnt. Bremspunkte mussten mit Bedacht gewählt werden, denn auf dem losen, grobkörnigen Untergrund neigen die Bikes zu unter- und übersteuern, was dann schnell mit einem Abflug in die dornigen Sträucher quittiert wird.
Unten angekommen zögern wir nicht lange und nehmen einen schnellen Uphill zurück zum Ausgangspunkt, um den zweiten Trail des Tages unter die Stollen zu bekommen. Die Berge werden nun von der tief stehenden Abendsonne in perfektes Fotolicht gehüllt und nach einer kurzen Schiebepassage auf den Roc de la Croix liegen nun 300 Tiefenmeter feinster Singletrail vor uns.
Gémenos
Der malerische Ort Gémenos liegt am Fuße des Massif Sainte-Baume und ist ein wahres Trailparadies. Mit Morgane als Guide für den Tag treten wir zunächst die Passstraße unterhalb des Pic de Bretagne hinauf, bis wir auf zirka 700 Metern Seehöhe von der Teestraße in den ersten Trail abbiegen.
Der für die Region untypische Regen vom Morgen sorgt für extrem griffige Trails, welche vom Charakter her mehr an die heimischen Trails mit Wurzel und Lehmboden erinnern. 250 Höhenmeter weiter unten mündet der Trail wieder auf die Passstraße und nach einem kurzen Zwischenanstieg wartet auch schon der zweite Trail auf uns.
Dieser ist dann wieder typisch für die Provence. Lockeres Geröll, Steinabsätze und natürliche Anlieger lassen jedes Enduro Herz höherschlagen. Auch die Aussicht enttäuscht nicht und man kann immer wieder Blicke auf die entfernte Metropole erhaschen.
Am Parkplatz angekommen steht der letzte Uphill des Tages auf der Agenda. Rund 500 Höhenmeter später erreichen wir auf der anderen Talseite den Vigiue du Brigou und genießen von hier oben den Sonnenuntergang über dem Meer. Da das letzte Licht um diese Jahreszeit rar ist, geht es ein letztes Mal in rasantem Tempo bergab. Die Trails auf dem Berg sind von den Locals gebaut und Anlieger, Drops und Sprünge laden zum Spielen ein.
Les Calanques
Für den letzten Tag unseres Trips haben wir uns zwei Trails im Nationalpark der Calanques ausgesucht. Die Calanques sind ein beliebtes Ausflugsziel der Marseillaiser, denn hier kann man zu einsamen Buchten wandern, klettern oder wie wir, die steinigen Trails mit dem Vélo befahren.
Der erste Trail startet am Col de Cortiou. Der Weg schlängelt sich an den steilen Kalkfelsen entlang und verliert dabei nur wenig an Höhe. Leider ist der aufkommende Flow immer wieder von kurzen verblockten Gegenanstiegen und zahlreichen Wanderern getrübt, welche aber stets freundlich sind und uns sogar zum Teil anfeuern schneller zu fahren. Die Aussicht die uns aber während der gesamten Zeit begleitet entschädigt für jegliche Mühen und Anstrengungen.
Nach einem regen bergauf und bergab erreicht man nach einigen Kilometern die Calanque de Marseilleveyre, wo ein kleines Restaurant hungrige Ausflügler empfängt. Leider ist das Restaurant im Winter geschlossen und daher geht es für uns auf den Rückweg zum Parkplatz.
Um zurück zum Parkplatz zu kommen müssen weitere 270 Höhenmeter zum Col de la Selle überwunden werden. Hier geht es noch einmal richtig zur Sache. Steile und verblockte Felsen auf dem Trail fordern unser ganzes Fahrkönnen und lassen so manchen Wanderer staunen.
Schnell genießen wir noch ein letztes Mal die Aussicht auf das ins Abendlicht getauchte Marseille und einige weitere Tiefenmeter später erreichen wir den Ortsteil Sormiou, von wo aus wir zurück zu unserem Auto treten.
Fazit:
Kein Wunder, dass viele der Top EWS Fahrer aus der französischen Provence stammen. Die Trails in der Region bieten alles was dem Enduro Fahrer ein Lächeln aufs Gesicht zaubert. Schnelle, steinige und ruppige Trails, die aber bei entsprechender Geschwindigkeit auch einen gewissen Flow bieten, sowie eine ganzjährige Bike Saison mit trockenen Trails. Wir können die Region nur jedem wärmstens ans Herz legen, der auch mal einen Blick über den italienischen Tellerrand werfen will. Einziges Manko sind jedoch die hohen Reisekosten und die lange Anfahrt.
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