Trans Schnitzel
Gravelride von Innsbruck nach Wien
4 Wochen später. „Hmm..ganz schön leicht die Dinger!“ denke ich mir als ich von Julie unsere Testräder für den Trip in Empfang nehme. Julie kennt uns in erster Linie als Mountainbiker. Bei unserer Frage nach Gravelbikes und der damit verbundenen Vorstellung uns unrasiert in Spandexhosen zu sehen zu können, musste sie wohl derart lachen, dass wir sie mit Bergamont als Ausstatter schnell auf unserer Seite hatten. Eine kurze Testfahrt später sind wir von den Bikes hin und weg.
Wieder eine Woche später: Mitte Juni. „hmm..gar nicht mehr so leicht..“ denke ich mir als ich frühmorgens versuche mein vollbepacktes Bike hochzuheben. Vorsichtig klettere im Wohnzimmer mitsamt bepacktem Bike auf die Wage. Ungläubig schiele ich an meinen Beinen vorbei auf die Anzeige. „Okay, dreistellig ist mit Bike und vollen Taschen keine echte Überraschung. Aber die zweite Ziffer hätte schon wenigstens eine Null oder Eins sein können..“, denke ich mir noch, als ich langsam zum gemeinsamen Startpunkt losrolle und schiebe die Verantwortung für das Übergewicht auf mein Kameraequipment.
Schwerbeladen treffen wir uns morgens in der Innsbrucker Altstadt. Lenkertasche, Rahmentasche, Arschrakete: All das alles trägt nicht unbedingt zu einem spitzigen Antritt bei. Aber wenigstens geht es den anderen Jungs kaum besser als mir.
Ausnahmsweise regnet es im Moment nicht. Noch nicht. Mangels zeitlicher Alternativen haben wir beschlossen uns an unseren halb ausgegorenen Schlachtplan zu halten. Innsbruck – Neusiedler See. 5 Tage, ca 12.000hm und 800km. Self-supportet, also ohne Begleitfahrzeug, ohne Gepäcktransport, dafür aber mit Schlafsack, Isomatte und minimalistischer Campingküche beladen. Welch ein Spaß! Ein Blick auf den Wetterbericht hätte uns gesagt, es wäre sinnvoller mit Noah ein Arche zu zimmern, aber jetzt sind wir eben hier.
Abfahrt! – Legen Sie ihre Schwimmflügel an!
Neben mir und Konsti grinsen noch Max und Lukas gut gelaunt aus ihren Regenjacken. Lukas ist der erfahrenste Gravel- und Straßenfahrer in unserer Truppe. Und dann ist da noch Max. Max ist sportlich eigentlich eher zwischen Wänden aus Fels und Eis beheimatet und hat vom Thema Gravel absolut gar keine Ahnung. Erstaunlicherweise hat er aber sofort zugesagt, unsere Chaostruppe als Fotograf zu begleiten.
Ein paar Meter außerhalb der Altstadt biegen wir auf den Inntal Radweg ein. Wir verlassen Innsbruck zügig in Richtung Osten und scheinen fürs erste die Regenwolken vor uns herzutreiben. Während Lukas bei Max noch Aufklärungsarbeit leistet und ihm erklärt, warum MTB-Flatpedals und Kletter-Zustiegsschuhe am Gravelbike evtl. nicht unbedingt eine übliche Kombination sind, biegen wir nach etwa 30km in einen Feldweg ein. Der Weg wird zusehends schmaler und wir müssen uns relativ schnell eingestehen, dass wir uns das erste Mal massiv verfahren haben.
Der Weg wandelt sich in eine schmale Fußspur und quert einen vom Regen glitschen Steilhang. Unter uns dröhnt der sonst so friedlich dahinfließende Inn. Fängt ja wirklich Prima an. Die ganze Situation erinnert mich mehr an Reisedokumentationen ins Amazonasbecken als an das altbekannte Tirol. Und das alles knapp 40km von der eigenen Haustür. Wirklich Wild. Aber die erste Hürde meistern wir mit Bravour. Keiner stürzt, keiner sitzt auf dem Hosenboden und niemand nimmt ein ungewolltes Bad im Inn.
Kurze Zeit später verlassen wir das Inntal und biegen in den ersten ernstzunehmenden Anstieg ab. Langsam finden wir unseren Tritt und unsere Positionen in der Gruppe. Wir lernen langsam, Radfahren ist eben doch nicht gleich Radfahren. Konsti und Lukas sind eher die Bergfahrer in der Gruppe. Das ist einerseits dem Film– und Fotoequipment geschuldet das Max und ich zusätzlich als Gepäck mit uns herumschleppen, hat aber wohl auch mit der körperlichen Veranlagung zu tun. Zusätzlich lernen wir, ist Rennradfahren auch Teamsport. Denn sobald es wieder flach wird, sind es meist Max und ich die unsere Reisegruppe von vorne ziehen. Masse ist eben doch klasse. Am auffälligsten ist es aber wie gut unsere Gruppe vom Leistungsniveau harmoniert. – Es ist einfach wunderbar, wenn jeder konstant am Limit fährt. 😉
Wie groß ist denn so eine kleine Pizza?“ frägt Lukas hungrig-interessiert bei der Mittagspause die Chefin des Hauses. Zu kleine Pizzen braucht in diesem Moment nämlich wirklich niemand. Inoffiziell hatten wir unserer Gruppe an diesem Zeitpunkt der Reise schon einen ernstzunehmenden Forschungsauftrag zugesprochen: Die Mission wäre es, das allerbeste Schnitzel des gelobten Schnitzellandes zu finden und darüber zu berichten. Aber das findet man sicher nicht beim Italiener. Deswegen eben Pizza.
Der folgende Climb startet mit einer nicht anders als unmenschlich zu titulierenden Schotterrampe. Die Rampe war derart steil, dass ich jetzt im Nachhinein beim besten Willen nicht mehr sagen kann, ob ich die Rampe durchgefahren bin oder geschoben habe. Etwa 200hm später schließe ich wieder auf die Gruppe auf. Die Jungs stehen vor einem Berggasthof, sich freundlich unterhaltend mit einer Gruppe angetrunkener Einheimischer. „Wo wollt‘s denn hin mit dem ganzen Graffl?“ frägt der Wortführer der Gruppe in liebevollen Ur-Tirolerisch, während er mit einem Fingerzeig zu verstehen gibt, dass er mit ‚Graffl‘ unsere Packtaschen meint. „Richtung Wien!“ antwortet Lukas mit einem breiten Grinsen im Gesicht. „Ihr Spinnts! Da fahr I ja netmal mit’m Auto hin!“ ertönt daraufhin die Antwort des Häuptlings unter dem schallenden Gelächter seiner Kollegen.
Wir fahren weiter. Die Beine brennen. Es ist schön. – Also der Schmerz, nicht das Wetter. Im endlosen Nieselregen schlängeln wir uns die Forststraße hinauf Passhöhe. Weit und Breit ist niemand mehr. Außer unseren Atemzügen und dem monotonen Abrollen der Reifen ist absolut nichts mehr zu hören. Kein Mensch weit und breit. Ich frage mich wie viele Wanderer sich wohl an sonnigeren Sommertagen an diesen Übergang zwischen Tirol und Salzburg verirren!? Die einzigen denen wir an diesem Tag noch begegnen, sind jedenfalls eine Herde Grauvieh, die den Regen gleichgültig über sich ergehen lassen.
„Da geht’s rauf!“ verkündet Lukas mit Blick auf einen schmalen Wanderweg. „Echt nicht weit..eigentlich nur 300m..“ ergänzt Konsti die weitere Routenführung. Ok das wird witzig. Der Wanderweg scheint an trockenen Sommertagen wirklich ein Prachtexemplar seiner Gattung zu sein. Im Augenblick erinnert mich sein Anblick allerdings eher an einen reißenden Fluss. Lukas stolpert auf den Plastiksohlen seiner Rennradschuhe hilflos voraus. Konsti hinterher. Wie schon so oft bei unseren gemeinsamen Ausflügen stehen Max und ich noch da und bewundern still genießend die Absurdität der Situation. Max schaut mich grinsend an und zeigt still auf seine Zustiegsschuhe. 1:0 für ihn.
Nach der Abfahrt beschließen wir in einem letzten Kraftakt des Tages noch knapp 40km durch das Pinzgau zu einer spontan gebuchten Unterkunft zu fahren. Bikepacking-Romantik hin oder her, keiner von uns hat wirklich Lust sich mit Schlafsack und Isomatte in den Regen zu legen oder den nächsten Tag mit nassen Schuhen zu starten.
Zell am See, Industriegebiet am Ortsrand. 8 Uhr morgens und knapp 12km im Sattel. Zustand der Beine: Geht so. Laune: Prima, denn Konstantin hat Probleme mit seinem Antrieb. Die Kette springt und verweigert den Dienst. Die Diagnose ist relativ schnell gestellt: Er hat ein steifes Kettenglied. Nach der Regen-Gravel-Einlage am Vortag eigentlich kein großes Wunder.. Steifes Glied. Frühmorgens. Höhö. Richtig schöner Schuljungenhumor. Lukas, Max und ich kringeln uns vor Lachen als Konsti bei der örtlichen KFZ Werkstatt nach einem Gegenmittel zur ‚Lösung seiner Versteifung‘ nachfragen muss und stellen uns die Situation allzu Bildlich vor. Nach einer Runde dummer Sprüche sind wir uns aber einig im benachbarten Sportgeschäft trotzdem Kettenöl zu besorgen, um Konsti künftig derartige Peinlichkeiten zu ersparen.
Frisch geölt geht die Reise weiter in Richtung Großglockner Straße. Und die erwartet uns – wie sollte es auch anders sein – mit herrlichem Starkregen. Wind und Temperaturen nur knapp über dem Gefrierpunkt vervollständigen das Erlebnis. Wunderbar diese Sommer in Österreich. Kein Wunder, dass hier die Weine so sauer schmecken.
Die Großglocknerstraße gehört für uns sicher zu den Highlights der gesamten Route. Leider fällt das Erlebnis eher nass-kalt aus und von der erhofften Aussicht auf den Alpenhauptkamm kann keine Rede sein. Vielmehr gleicht die Auffahrt dem Erlebnis vom Vortag: Regen, Wolken, Nebel. Und Kehren. Viel zu viele Kehren. Diesmal allerdings Asphalt anstatt Gravel. Stoisch treten wir zu Fuschertörl und Hochtor hinauf, nur um dann auf der Abfahrt Richtung Heiligenblut einmal mehr an die fehlenden Scheibenwischer unserer Brillen zu denken. Insgeheim vermisse ich in der Abfahrt mein Enduro-bike und halte trotz Starkregen immer wieder Ausschau nach einer befahrbaren Trailabfahrt vom Glockner. Falls man zufällig mal wieder in der Gegen wäre… Unten in Heiligenblut angekommen gesteht mir Konsti dass er während der Abfahrt ganz ähnlichen Gedanken nachhing.
Auch klar der Himmel immerhin langsam auf. Der Regen verzieht sich und einzelne blaue Flecken werden zwischen den Wolken langsam sichtbar. Auch die Temperaturen sind am Tal weit angenehmer. Schlau wie wir sind cruisen wir aber noch die nächsten 20km mit Regenkleidung dahin um Jacken und Hosen im Fahrtwind zu trocknen, bevor wir sie in den Packtaschen endgültig für den Tag verstauen.
Vier Schnitzel (sehr gut), 8 Stück Kuchen und vier Cappuccino später übernehme ich am Talgrund wieder die Führung der Gruppe und wir rollen im Wohlfühltempo auf der örtlichen Hauptstraße unserem Etappenziel, dem Millstätter See entgegen. Mit Blick auf neuerliche Regenschauer haben wir uns auch hier wieder eine Unterkunft gebucht, bei der wir wieder komplett eingenässt ankommen. Kaum haben wir eingecheckt, wird hier kurzerhand das Bad mittels Föhn (don‘t try this at home) zu einer Mischung aus Trockenkammer und Versuchslabor für extraterrestrische Gerüche umgebaut. In Nassen Schuhe will man nun wirklich nicht losfahren oder? Um den entstehenden Gerüchen wenigstens ein wenig zu entkommen ziehen wir durch den Ort und Stärken uns beim Italiener ein paar Straßen weiter. Im Hinterkopf haben wir dabei immer den Badföhn der auf voller Leistung unsere nassen Schuhe in der Unterkunft trocknen soll, und hoffen dass wir mit unserer Konstruktion die Unterkunft nicht unabsichtlich niederbrennen.
Zwei Tage später: Der Tag startet im Vergleich zur bisherigen Route verhältnismäßig trocken. Sogar für unsere Schuhe. Die Route führt uns über schöne Nebenstraßen immer tiefer ins geografische Herzen Österreichs hinein. Die Anstrengungen der vergangenen Tage lassen sich angesichts der Route schnell vergessen und sogar die Sonne zeigt sich ab und an. Landstraßen mit wenig Verkehr, schön zu Fahrende Gravelabschnitte und der ein oder andere Trailabschnitt sorgen für ein breites Grinsen in unseren Gesichtern. Wir machen trotz gesteigertem Gusto-Level gut Strecke. Am späten Nachmittag erreichen wir eine Passhöhe und beschließen angesichts der heranziehenden Regenfront wieder eine Unterkunft für die Nacht zu buchen. Max und Lukas checken das Wetter – unsichere Prognose – Konstantin und ich suchen zeitgleich nach einer passenden Unterkunft – absolut nichts. Wir versuchen es mit einem Anruf beim nächst-gelegenen Gasthof: „Eine Unterkunft? Heute? Bei uns in der Region? Ja, also das wird ganz sicher nichts..“
Die Aussage des Gastwirts stimmt uns nicht sehr optimistisch. Mangels Alternativen beschließen wir auf unser Glück unterwegs zu setzen. Kurz stocken wir noch unsere Vorräte beim örtlichen Supermarkt auf und stellen uns innerlich auf eine verregnete Biwak-Nacht ein. Wunderbar. Wir fahren weiter und die Landschaft als auch die Ortschaften scheinen unsere Lage zu spiegeln – überall verlassene Häuser, eingeworfene Fenster, tief Hängende Wolken. Die Region sieht mehr nach wirtschaftlichem Niedergang als nach Boom-Region aus. In die Dämmerung hinein fahren wir immer weiter in Richtung Packer Höhe. Mit einer Unterkunft für die Nacht haben wir schon abgeschlossen, jetzt geht es uns darum eventuell noch einen Regengeschützen Biwakplatz unter einer Brücke oder in einer Scheune zu finden. Doch auch das gestaltet sich schwieriger als erwartet.
Die Auswahl an Scheunen ist eher begrenzt, denn ein Modell das uns nachts über den Köpfen zusammenklappt wollen wir nun wirklich nicht. Brücken gibt es auch keine. Mangels Alternativen schieben wir in völliger Dunkelheit unsere Räder durch das Unterholz in ein kleines Waldstück. Am Rane einer Lichtung ist der Boden wenigstens eben und halbwegs trocken. Home for today! Wenn man eines beim Bikepacken lernt, ist es, dass man auf manche Dinge einfach keinen Einfluss hat. Durch die Wipfel der Bäume sehen wir die Regenfront über uns hinwegziehen – die Nacht bleibt trocken. Nochmal Glück gehabt.
Der Morgen begrüßt uns gegen halb 6 mit Sonnenschein. Niemand wurde nachtt vom Fuchs besucht, niemand von Ameisen heimgesucht und auch Wildschweine haben uns keine attackiert. Wieder Glück gehabt. An ein Frühstück hatten wir beim letzten Supermarktbesuch leider nicht gedacht, weshalb wir mit leerem Magen in den Tag starten müssen. Ein Blick auf die weitere Strecke zeigt uns leider, dass wir auch noch einige Strecke und Höhenmeter bis in den nächsten Ort zurücklegen müssen.
Gegen 11 Uhr spielen sich beim örtlichen Bäcker im wohlklingenden Ort Edelschrott bizarre Szenen ab: Vier ausgehungerte Bikepacker sitzen inmitten ihrer Räder vor der Filiale am Boden. Im Zweiminutentakt springt einer aus der Gruppe auf, geht in die Filiale und kommt wahlweise mit Brezeln, Apfelstrudel oder Nussschnecken beladen wieder heraus. Von der gegenüberliegenden, „sicheren“ Seite des Dorfplatzes aus beobachten uns kopfschüttelnd eine Gruppe älterer Damen. Wir sind wohl das Gespräch des Tages in Edelschrott. Ein älterer Herr möchte uns auf ein Bier einladen. Wir lehnen dankend ab. Seine Frage, ob „das mit den Rädern und Taschen überhaupt noch Spass mache?“ bleibt mir noch länger im Kopf.
Unsere Fahrt geht weiter. Die höheren Berge haben wir langsam hinter uns gelassen. Die Felsbezackten Berggipfel weichen gemäßigteren bewaldeten Hügeln. Erstaunlicherweise liegt mit über 1000hm Anstieg auf den Feistritzsattel als letzten richtigen Pass aber noch ein echtes Brett vor uns. Der Anstieg vergeht allerdings wie im Flug. Der Radweg auf der Trasse der ehemaligen Feistritztalbahn verdient die Beschreibung Premiumgravel und windet sich in angenehm gleichmäßiger Steigung den Pass entgegen. Wir sind begeistert.
Nach einen kurzen Abstecher nach St. Corona am Wechsel spuckt uns unsere Abfahrt im Flachland vor den Toren Wiens aus. Einstimmig hatten wir am Abend zuvor beschlossen das Reiseziel für den letzten Tag unserer Tour noch zu ändern: Nach 5 Tagen im Regen hatte niemand mehr das Verlangen nach einem ausgedehnten Bad im Neusiedler See. Schnell wurde deshalb das Schloss Belvedere im Herzen Wiens, und in strategisch wertvoller Nachbarschaft zu Wiens Hauptbahnhof zum neuen Ziel erklärt.
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